覚え書:「ノーベル賞 グラス氏 ドイツ作家 イスラエル核非難の詩で物議」、『毎日新聞』2012年4月7日(土)付。


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ドイツ作家 イスラエル核非難の詩で物議
ノーベル賞 グラス氏

【ベルリン篠田航一】小説「ブリキの太鼓」(1959年)で知られるドイツのノーベル文学賞作家、ギュンター・グラス氏(84)が4日付の南ドイツ新聞などに、事実上の核保有国とされるイスラエルを「世界平和を脅かしている」と非難する詩を投稿し、物議を醸している。ナチスによるホロコーストユダヤ人大虐殺)の過去を持つドイツで、「ユダヤ国家」のイスラエルをあからさまに批判するのは異例。イスラエルのネタニヤフ首相が5日、「無知で、恥ずべき言葉だ」と反論するなど波紋が広がっている。
 「言わなくてはならぬこと」と題した詩でグラス氏は「なぜ私は今、言うのか? 核大国イスラエルが世界平和を脅かしていると。それは、今言わないと手遅れになるからだ」と訴えた。さらに、核開発を進めるイランをイスラエルが攻撃すれば「イラン国民を一撃でせん滅しかねない」と懸念を示し、イスラエルへの潜水艦売却を計画している「私の国」ドイツにも苦言を呈している。
 グラス氏は99年にノーベル文学賞を受賞。2006年に独紙のインタビューで、17歳の時にナチス親衛隊(SS)の戦車部隊に所属していた過去を告白し、話題になった。ネタニヤフ首相は「ナチスにいた過去を約60年も隠してきたグラス氏のことだ。ユダヤ国家を敵視するのも驚くに当たらない」と非難した。
 グラス氏は中道左派ドイツ社会民主党の支持者として知られるが、同党からも「詩の内容は不適切だ」(ナーレス幹事長)との声が上がっている。
    −−「ノーベル賞 グラス氏 ドイツ作家 イスラエル核非難の詩で物議」、『毎日新聞』2012年4月7日(土)付。

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http://mainichi.jp/select/news/20120407k0000m030034000c.html


以下は独紙より。

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Reich-Ranicki greift Günter Grass an
"Ein ekelhaftes Gedicht"
07.04.2012, 17:35
Eine Größe des literarischen Nachkriegsdeutschland geht mit dem Nobelpreisträger hart ins Gericht: Marcel Reich-Ranicki attackiert den Schriftsteller Günter Grass wegen dessen israelkritischen Gedichts. Grass stelle die Welt auf den Kopf, wenn er Israel im Streit mit Iran zum Aggressor erkläre. Das sei ein Schlag gegen alle Juden. In Göttingen haben Unbekannte ein Denkmal beschmiert, das Grass gestiftet hat.

Wenn es um Literatur ging, waren sie selten einer Meinung. Jetzt geht es um Weltpolitik und Marcel Reich-Ranicki greift den Schriftsteller Günter Grass wegen dessen Gedicht Was gesagt werden muss scharf an. Der Text sei eine Gemeinheit, "ein ekelhaftes Gedicht", sagte der bekannteste Literaturkritiker des Landes der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

Grass stelle "die Welt auf den Kopf", sagte Reich-Ranicki: "Der Iran will Israel auslöschen, das kündigt der Präsident immer wieder an, und Günter Grass dichtet das Gegenteil."

Für Reich-Ranicki ist das Gedicht ein Schlag nicht nur gegen den Staat Israel, sondern gegen alle Juden. "Wenn Palästinenser oder Araber gegen Israel hetzen, ist das ja nichts Besonderes, aber wenn ein Günter Grass es tut und so scharf gegen die Juden vorgeht, dann ist das natürlich ein Ereignis." Anders als von Grass behauptet, gebe es in Deutschland gar kein Tabu, dass Israel nicht kritisiert werden dürfe, sagte Reich-Ranicki.

FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher kommentierte auf Twitter, er habe den Kritiker noch nie so erlebt. Reich-Ranicki behauptet auch, dass Grass das Gedicht bewusst zum jüdischen Pessach-Fest veröffentlicht habe. Einen ähnlichen Vorwurf hatte bereits der Gesandte Israels in Berlin erhoben.

Am Mittwoch hatte Grass ein israelkritisches Gedicht in der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht. Darin wirft er dem jüdischen Staat vor, den Weltfrieden zu gefährden. Er könnte mit einem nuklearen Erstschlag "das iranische Volk auslöschen".

In teils heftigen Reaktionen warfen Kritiker Grass daraufhin vor, gegen Israel zu hetzen, indem er die Bedrohung des Landes durch Iran verharmlose und im Gegenzug Israel zum Aggressor erkläre. Grass konterte, die Kritik an ihm sei Zeichen einer "Gleichschaltung der Meinung".

Auch Antisemitismus wurde ihm vorgeworfen. Selbst der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu griff das Thema auf. Er verurteilte das Gedicht und wies, wie andere Kommentatoren, darauf hin, dass Grass als 17-Jähriger in der Waffen-SS war.

Reich-Ranicki gehört wie Grass zu den Größen des Literaturbetriebs im Nachkriegsdeutschland. Zum Bruch zwischen beiden war es 1995 gekommen. Damals hatte Ranicki Grass' Buch Ein weites Feld negativ besprochen - und das Buch öffentlichkeitswirksam auf dem Titelbild des Spiegel in zwei Teile gerissen. Reich-Ranicki stammt aus einer jüdischen Familie im polnischen Włocławek. Den Holocaust überlebt er im Warschauer Ghetto.

Bisher wurde die Debatte über Grass' Gedicht mit Worten geführt. In Göttingen haben Unbekannte ein Denkmal beschmiert, das Grass vor einem Jahr gestiftet hatte. Auf dem Sockel einer Plastik, die auf dem Universitätscampus an die "Göttinger Sieben" erinnern soll, schmierten Unbekannte "SS! Günni Halts Maul". Die Polizei ermittelt wegen Sachbeschädigung. Die Stahlskulptur erinnert an sieben Göttinger Professoren, die 1837 gegen die Aussetzung der Ständeversammlung durch König Ernst August von Hannover protestiert hatten und daraufhin entlassen wurden.

Positive Reaktionen hat das Gedicht in Iran ausgelöst. In einem Brief an den "bedeutenden Schriftsteller" lobte Vize-Kulturminister Dschawad Schamakdari den 84-Jährigen, er habe mit seinem Gedicht seine menschliche und historische Verantwortung vorbildlich erfüllt und "die Wahrheit gesagt". Er hoffe, die Kritik werde "das eingeschlafene Gewissen des Westens aufwecken", schrieb Schamakdari. "Ich habe Ihr warnendes Gedicht gelesen, das auf so großartige Weise Ihre Menschlichkeit und Ihr Verantwortungsbewusstsein zum Ausdruck bringt. Mit ihrer Feder allein können Schriftsteller Tragödien eher verhindern als Armeen."

In Deutschland überwog auch am Osterwochenende die harsche Kritik an den Zeilen des Schriftstellers. Der Schweizer Historiker Raphael Gross bezeichnete das Gedicht als "Hassgesang". Dennoch sei es nicht leicht, Grass als Antisemiten zu bezeichnen, schrieb Gross in einem Gastbeitrag in der Berliner Zeitung vom Samstag. Der aus dem 19. Jahrhundert stammende Begriff des Antisemitismus sei von Anfang an äußerst unklar und eng gefasst gewesen.


Nach Debatte um sein Gedicht
Grass präzisiert Kritik an Israel

Nach Debatte um sein Gedicht
Grass präzisiert Kritik an Israel
06.04.2012, 18:03
Von Heribert Prantl
Nicht das Land Israel, sondern allein die Regierung Netanjahu habe er kritisieren wollen: Im Gespräch mit der "Süddeutschen Zeitung" erklärt Günter Grass, dass er sein Israel-Gedicht jetzt anders fassen würde. Die Kritik an seiner Person treffe ihn - besonders der "kränkende und pauschale Vorwurf des Antisemitismus".

Der Literaturnobelpreisträger Günter Grass hat sich gegen Angriffe wegen seines umstrittenen Israel-Gedichts verteidigt und zugleich beteuert, er würde es jetzt anders schreiben. Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung sagte Grass am Karfreitag, er würde nun seine Kritik präziser formulieren: "Ich würde den pauschalen Begriff 'Israel' vermeiden und deutlicher machen, dass es mir in erster Linie um die derzeitige Regierung von Premierminister Benjamin Netanjahu geht", sagte Grass.

Der Schriftsteller hatte am Mittwoch in seinem Gedicht "Was gesagt werden muss" Israel vorgeworfen, mit seiner Iran-Politik den Weltfrieden zu gefährden. Darin schreibt er, Israel beanspruche für sich das Recht auf einen Erstschlag, der "das von einem Maulhelden unterjochte und zum organisierten Jubel gelenkte iranische Volk auslöschen könnte, weil in dessen Machtbereich der Bau einer Atombombe vermutet wird".

Im SZ-Interview sagte Grass nun, er hätte in seiner Kritik deutlicher zum Ausdruck bringen sollen, dass er die Politik der derzeitigen Regierung Israels habe treffen wollen: "Die kritisiere ich: Eine Politik, die gegen jede UN-Resolution den Siedlungsbau fortsetzt. Ich kritisiere eine Politik, die Israel mehr und mehr Feinde schafft und das Land mehr und mehr isoliert." Der Mann, der - so Grass - Israel zur Zeit am meisten schade, sei dessen Premier "Netanjahu - und das hätte ich in das Gedicht noch hineinbringen sollen."

Zu der massiven Kritik an seiner Person meinte Grass, diese treffe ihn nicht besonders: "Ich war immer gewohnt, dass meine Werke, große und kleine, auf heftige Kritik stoßen." Dennoch sei er enttäuscht darüber, dass "der kränkende und pauschale Vorwurf des Antisemitismus" gegen ihn erhoben worden sei. Nicht er, Grass, sei ein Friedensstörer, sondern die derzeitige Regierung in Israel, die mit "dem Iran und der Vermutung, dass dort eine Atombombe gebaut wird, einen Popanz" aufbauen würde. Er hoffe aber, dass sich die Debatte mit einem gewissen Abstand versachliche und dann über die Inhalte seines Gedichtes diskutiert würde.

Als einen wichtigen Punkt seiner Kritik nannte der Schriftsteller im SZ-Interview seinen Vorschlag, Israel und Iran unter atomare Kontrolle zu stellen. Er halte das für eine Möglichkeit, die Kriegsgefahr zu mindern.

"Schändliche moralische Gleichstellung Israels mit Iran"

Die Kritik an Grass' Gedicht riss auch am Karfreitag nicht ab. Israels Ministerpräsident Netanjahu reagierte empört. "Die schändliche moralische Gleichstellung Israels mit Iran - einem Regime, das den Holocaust leugnet und mit der Vernichtung Israels droht - sagt wenig über Israel, aber viel über Herrn Grass aus", sagte Netanjahu. Internationale Medien erinnerten daran, dass Grass als Jugendlicher Mitglied der Waffen-SS war. Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann, schrieb, Grass habe zwar die Waffen-SS verlassen, "aber offenbar hat die Judenfeindschaft der Waffen-SS Grass doch niemals verlassen".

Dazu meinte Grass im Interview, er sei entsetzt, wie jüngere Menschen über einen Mann urteilten, der im Alter von 17 Jahren in die Waffen-SS gezogen wurde und sich nicht freiwillig gemeldet habe. "Dies tut eine Generation, die von ihren Freiheitsrechten, die sie heute hat, meiner Meinung nach viel zu wenig Gebrauch macht."

Befragt danach, ob er ein Freund Israels sei, meinte der Nobelpreisträger, er wünsche, dass dieses Land Bestand habe und endlich gemeinsam mit seinen Nachbarn Frieden finde.



Debatte um Grass-Gedicht
Auf Kosten des Verstandes
07.04.2012, 11:20
Von Thomas Steinfeld
Es wird kommentiert, als wäre Günter Grass' Werk "Was gesagt werden muss" ein großes politisches, wenn nicht sogar militärisches Ereignis. Es ist es aber nicht. Die Diskussion über das Gedicht des Literaturnobelpreisträgers erhellt den Zustand der politischen Debatte. Es ist, als könne man gar nicht mehr reden über die Gründe der Feindschaft zwischen Israel und Iran.

Gibt es ein Gedicht, das sich in seiner Wirkung, in deren Schnelligkeit und Heftigkeit, mit diesen Zeilen vergleichen ließe? Wie war es, als Heinrich Heine sein "Wintermärchen", als Paul Celan seine "Todesfuge" veröffentlichte, wie war es, als Alfred Andersch mit "empört euch der himmel ist blau" gegen den Radikalenerlass loszog? Standen die Medien damals auch kopf, beherrschte ein kleines lyrisches Werk die Nachrichten auf allen Kanälen?

Drei Tage ist nun Günter Grass' "Was gesagt werden muss" in der Welt, und es wird kommentiert und darüber geurteilt, als wäre dieses Gedicht ein großes politisches, wenn nicht sogar militärisches Ereignis. Es ist es aber nicht. Es ist immer noch ein Gedicht, der in holpernde Verse und willkürlich gesetzte Strophen gekleidete Aufschrei einer zumindest scheinbar gequälten Seele, die Gehör und Anerkennung einfordert.

Benjamin Netanjahu, der Ministerpräsident Israels, replizierte auf dieses Gedicht, indem er seinerseits die Schuldfrage stellte und sofort beantwortete: Nicht Israel, sondern der Iran bedrohe den Weltfrieden, drohe anderen Staaten, sie auszulöschen, unterstütze den Terror, steinige Frauen und henke Homosexuelle.

Einmal abgesehen davon, dass der Weltfrieden grundsätzlich nur im Ringen um den Weltfrieden, also in Gestalt von Kriegen und Kriegsdrohungen, stattfindet: Benjamin Netanjahu gab eine Antwort, die Günter Grass in seinem als Gedicht verkleideten Pamphlet provoziert hatte: "Nicht wir sind es, sondern die anderen." Wobei es, und das sollte man auch sagen, etwas Infames hat, wenn Benjamin Netanjahu am Ende Günter Grass' spätes Bekenntnis, er sei Mitglied der Waffen-SS gewesen, so verdreht, als wäre der Dichter immer noch in deren Auftrag unterwegs.

Schuldzuweisungen, die sich im Kreis drehen
So gesehen, stellt allein schon der Umstand, dass dieses Gedicht in der Öffentlichkeit - nicht nur Deutschlands - eine solche Bedeutung angenommen hat, eine Auskunft über den Zustand der politischen Debatte dar: Es ist, als könne man gar nicht mehr reden über die Gründe der Feindschaft, die zwischen Israel und Iran herrscht. Es ist, als lägen die strategischen Ziele, die von den beiden potentiellen Kriegsparteien verfolgt werden, außerhalb aller Begrifflichkeit.

Stattdessen hagelt es Schuldzuweisungen. Wie immer drehen sie sich im Kreis, schreiten voran nach dem moralischen Prinzip des "er hat aber angefangen" - bis sie beim Recht auf Selbstverteidigung und in einer Forderung nach grundsätzlicher Parteilichkeit enden. Das politisch Zwiespältige des Gedichts von Günter Grass besteht darin, dass er ähnlich vorgeht.

Wenn er, von der islamischen Republik Iran und deren Interesse an einem Krieg absehend, "jenes andere Land beim Namen" nennen will, das da über ein "wachsend nukleares Potential" verfügt, ohne dass es deswegen einer internationalen Kontrolle unterliegt, wenn er also meint, ein politischer Konflikt lasse sich dadurch klären, dass man der Öffentlichkeit einen (weiteren) Schuldigen präsentiert, dann möchte er Richter sein und die (schon eingetretenen und noch zu erwartenden) Verbrechen gegeneinander abwägen. Und wenn er den ganzen Konflikt am Ende einer "internationalen Instanz" übergeben will, so tritt er vorläufig selber als deren Repräsentant auf.

Der Preis für die Suche nach dem Schuldigen ist hoch. Kein Wort fällt, weder im Gedicht noch in der nun folgenden Debatte, über die auch internationale Rolle, die Israel als herrschende Militärmacht im Nahen Osten innehat, und kein Wort darüber, was es heißt, wenn der Iran dieser Macht eine Konkurrenz zu eröffnen trachtet. Und dieser Widerspruch soll aufgehoben sein, wenn ein Dichter zum "Verzicht auf Gewalt" auffordert und eine internationale Aufsicht eingerichtet sehen möchte?

Das Genre des "Ich kann nicht anders"

Benjamin Netanjahu weiß offenbar, was er tut, wenn er Günter Grass in seiner Stellungnahme seinerseits mit lyrischen Wendungen gegenübertritt, die im Gestus der Betroffenheit auftreten. Von der fünfmaligen Wiederholung des Satzmusters "der Iran, nicht Israel" bis hin zur Polarität zwischen "nicht mehr schweigenden" (Grass) und "anständigen" (Netanjahu) Leuten antwortet der israelische Ministerpräsident im Genre des "Ich kann nicht anders".

Und man muss hinzufügen: Grass tat ihm einen Gefallen, als er, mit einem gewaltigen Überschuss an deutscher Phantasie, alle drohenden Szenarien übertrieb und Israel unterstellte, das "iranische Volk auslöschen" zu wollen - ganz so, als ginge es um einen neuen Holocaust, der nun aber von Israel ausgehe. Wer sich so mit Übertreibungen auf politisches Terrain begibt, darf sich nicht wundern, wenn er seinerseits nicht nur auf ein Übermaß an Phantasie trifft, sondern auch auf den Wunsch, dem Dichter das Wort zu entziehen: Einen "Anschlag auf Israels Existenz" nannte der Publizist Ralph Giordano das Gedicht, "von einem aggressiven Pamphlet der Agitation" sprach der Zentralrat der Juden in Deutschland.

Um wie viel leichter wird es nun sein, einem Vorbehalt gegen Israels Politik seinen Nachbarländern gegenüber mit dem Hinweis, man habe ja bei Grass wieder einmal gesehen, was von solcher Kritik zu halten sei, den Grund zu bestreiten. Dass Grass Fürsprecher findet wie den Kritiker Dennis Scheck, der den Dichter für den "Minenspürhund der deutschen Literatur" hält, wird weder dem Literaten noch der Literatur nützen - dass es der Dichtung nur gut tun kann, wenn sie Explosionen auslöst, ist ein Standpunkt für Knallköpfe.

Es gäbe vieles, über das öffentlich geredet werden müsste

Dabei gäbe es vieles, über das öffentlich geredet werden müsste. Denn auch wenn Günter Grass die Atombombe im Iran auch nur "vermutet": Das Land strebt nach dem mächtigsten Mittel der Bedrohung, und verfügte es darüber, müsste die Welt anders mit ihm umgehen. Zu reden wäre auch über den Anspruch Israels, die entscheidende Kriegsmacht im Nahen Osten zu bleiben - und Günter Grass hatte ja recht, als er von einem "Erstschlag" sprach: Ein Präventivschlag war Israel jedenfalls bislang nichts Fremdes.

So vertrackt ist die Lage, dass sie ein paar kalte, klare Gedanken wert wäre, ein paar Gedanken, die nicht auf das Ermitteln von Schuldigen aus sind, sondern auf die Gründe dieses Konfliktes zielen - und sich damit aus dessen nunmehr offenbar totalen Bannkreis entfernen.

So vertrackt ist die Lage, dass sie ein paar kalte, klare Gedanken wert wäre, ein paar Gedanken, die nicht auf das Ermitteln von Schuldigen aus sind, sondern auf die Gründe dieses Konfliktes zielen - und sich damit aus dessen nunmehr offenbar totalen Bannkreis entfernen.

Günter Grass verwies in allen Interviews nach der Veröffentlichung darauf, er habe in den Medien nur Tadel, in privaten Mails aber sehr viel Zustimmung erhalten: Es gibt keinen Grund, daran zu zweifeln - und auch nicht daran, dass im Nahen Osten der nächste Krieg droht und dass sehr viele Menschen diese Bedrohung als eine persönliche wahrnehmen.

Vielleicht glaubt Günter Grass, über persönliche Eitelkeiten hinaus, an den Zauber der Poesie. Vielleicht meint er tatsächlich, in den Versen eines Gedichtes liege ein Gegenzauber, mit dem man eine als bedrohlich empfundene Realität bekämpfen könne. Vermutlich gelingt es ihm, mit diesem Glauben eine Anhängerschaft hinter sich zu versammeln. Das kann alles sein. Vernünftiger aber wird die Welt durch solche Gedichte kaum - im Gegenteil: Auch in diesem Fall geht das Moralisieren auf Kosten des Verstands.

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Günter Grass - Schriftsteller, Nobelpreisträger, schreibender Republikaner - Süddeutsche.de


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